Dienstag , 23 April 2024
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Plädoyer des Süchtigen

alkoholismusDas Bild des Süchtigen in der Gesellschaft ist als durchaus armselig zu bezeichnen. Und das gilt sowohl für das Objekt der Beobachtung als auch für den Beobachter. Was die meisten Leute denken, wenn sie „suchtkrank“ hören, ist nicht nur erstaunlich, sondern erschreckend.

Da gibt es das Bild des Alkoholikers, das niemand in der nächsten Umgebung sucht. Selbst Betroffene, die es sich aber (noch) nicht eingestehen wollen, zeigen da gerne auf den, nicht nur vor Dreck stinkenden, verlausten Penner, der gerade aus seinem dreckigen, stinkenden Nachtlager aufsteigt, in dem er die Nacht über seinen dreckig, stinkenden Rausch ausgeschlafen hat, neben Hundekot und Ratten, die schon an den offenen Wunden geknabbert haben.

Sicher, solche Menschen gibt es. Männer, wie Frauen. Und in zunehmendem Maße auch Jugendliche, von denen viele fast noch Kinder sind.

Der „Alki“ sitzt neben dir, lange bevor es zu einem solchen Absturz kommt, sitzt er in der Bahn, auf der Arbeit, im Wartezimmer und im Wagen neben dir. Lange Zeit vergeht, bis sich ein alkoholkranker Mensch dessen bewusst wird und noch viel mehr Zeit, bis er wirklich etwas dagegen unternimmt.

Und beim größten Teil vergeht soviel Zeit damit, bis keine mehr übrig ist. Sie warten, bis sie todkrank werden, schieben dies dann auf irgendwelche Symptome und sterben an einem „Magendurchbruch“. Millionen von Familien gehen zugrunde, Kindern wird unmäßige Gewalt angetan und ganze Imperien stürzen, bis der „Alki“ endlich etwas dagegen tut, oder eben zum Penner auf der Straße wird.

Doch was denen, die sich entschlossen haben ihren eigenen Scherbenhaufen aufzuräumen, blüht, ist bei Weitem nicht viel einfacher. Folgendes alt bekanntes Gedicht, sagt vieles.

Wenn du einem Trinker begegnest,
dann begegnest du einem Helden.
Es lauert in ihm der Todfeind.
Er bleibt behaftet mit seiner Schwäche
und setzt seinen Weg fort,
durch eine Welt der Trinkunsitten.
In einer Umgebung,
die ihn nicht versteht,
in einer Gesellschaft
die sich berechtigt hält,
in jämmerlicher Unwissenheit
auf ihn herabzusehen,
als auf einen Menschen zweiter Klasse.
Weil er es wagt, gegen den Alkoholstrom
zu schwimmen.
Du solltest wissen:
Er ist ein Mensch erster Klasse!

Friedrich von Bodelschwingh

Doch ich will hier noch einen Schritt weiter gehen. (Wir wären nicht „The Intelligence“, wenn ich das nicht tun würde)

Ich möchte auch die voller Menschenwürde anschauen, die es noch nicht geschafft haben und denen meinen größten Respekt entgegen bringen, die es gar nicht schaffen wollen, weil sie zufrieden mit dem sind, was sie haben.

Den Alltag eines „Junkies“, die notwendige Organisation, muss man erst mal bewältigen, bevor man sich abfällig über deren Motivation äußert. Es handelt sich hierbei teilweise um logistische Meisterwerke, die einem wirklich nur Respekt abverlangen können, gesetzt den Fall dass Beschaffungskriminalität keine Rolle spielt. Der Dieb, der Einbrecher, und der Betrüger, sind wieder ganz andere Bilder, über die man an anderer Stelle sprechen muss.

Vor jemandem der eine andere chronische Krankheit hat und egal aus welchen (selbst verschuldeten) Gründen er/sie die bekommen hat, fällt man auf die Knie und ruft: „DU Ärmster!“

Für einen chronisch Suchterkrankten mit COPD, Hepatitis und einem Magengeschwür gibt es nur Verachtung und sonst nichts. Und zwar bis ins Krankenzimmer, wo einem das Personal nochmal genau klar macht, wo deine Rolle in der Gesellschaft zu suchen ist. Die Gesellschaft, also Du und Ich.

Dabei spielt es auch keine Rolle, wie du als Mensch bist. Der Mann mit dem Magengeschwür, das er bekommen hat, weil er seinen Job hasst, seine Beziehung in die Brüche geht und er seine Kinder aus Verzweiflung schlägt, ist immer noch mehr wert als die junge Mutter, die alleinerziehend ihr Kind durchbringt und dabei in einem Drogenersatzprogramm, also frei von Drogen ist.

Da kann sie noch so ein toller Mensch sein. Der Stempel, den ihr die „Gesellschaft“, also Du und Ich, ihr aufgedrückt haben, wie ein Brandmal, gibt ihr keine Chance gegen den Mann anzukommen.

Läuft hier nicht gewaltig etwas schief?! Wäre es nicht an der Zeit mal die Augen und das Herz zu öffnen, um die Wahrheit überhaupt erst erkennen zu können?

Und bevor ich mir ein Urteil erlaube, sollte ich erst mal sehen, wie ich helfen kann!

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