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Plattenbau, mon amour

plattenbau_leipzigGrau, klobig, deprimierend monoton und hässlich wie die Nacht, so lautet das vernichtende Urteil über einen markanten Baustil der 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts: die erschlagende Nüchternheit der „Sozialistischen Moderne“, berühmt-berüchtigte und verhasste Gestaltwerdung der industrialisierten Ideologie der ehemaligen Ostblock-Länder. Welche Ästhetik sich aus einem unverstellten, weder voreingenommen-kritisierenden, noch nostalgisch-verklärenden Sichtwinkel ergibt, zeigt der Foto-Künstler Roman Bezjak in seiner Rundreise in die vergangene Welt der sozialistischen Architektur der Moderne. Innerhalb von fünf Jahren besuchte er dazu sowohl die Vorzeigeplätze als auch die Trabantenstädte ehemaliger sozialistischer Metropolen in Ost- und Südosteuropa sowie Ostdeutschland.

Was dort heute mehrheitlich trostlos vor sich hinbröckelt, sollte einst den Geist von geradliniger Planerfüllung und zentraler Ordnung architektonisch und städteplanerisch realisieren und repräsentieren. Hierbei stehen einige avantgardistische, anspruchsvolle Entwürfe zur Arbeits- und Zweckbautengestaltung im krassen Gegensatz zur monströsen Umsetzung, vor allem im gesichts- und lieblosen Wohnsiedlungsbau. Sind erstere Ideen weitläufig dem frühen russischen Konstruktivismus entliehen und auf die eigene Ideologie zurechtgemünzt, sind die berüchtigten und charakteristischen Plattenbauten Fehlplanungen und fortschreitenden Materialengpässen zuzuschreiben.

Bezjaks Bilder zeigen die Gebäude ungeschönt und unverstellt in ihrem gegenwärtigen Zustand und der heutigen Realität. So finden sich auch durchaus Abriss-Szenarien oder halbverfallene Häuser neben erhaltenswerten architektonischen Meisterleistungen wie dem als „Nationales Monument“ unter Denkmalschutz gestellte Verwaltungsgebäude des Ministeriums für Straßenbau in Tiflis, Georgien. Auf diese Weise gesammelt und zusammengestellt wirkt das Gezeigte wie eine seltsame Reise in eine vergangene Utopie, die, als sei sie nicht schon vor Jahrzehnten gescheitert, noch immer optisch sichtbar zerbröselt und verfällt. Eine städtische Rundfahrt zu Orten, die entweder aktuell tatsächlich schon nicht mehr existieren oder im Begriff des Verschwindens sind. Das Panorama an Bauten ist somit ein Spiegel der Geschichte, stumme Zeugen aus Stein und Beton – ob hübsch anzusehen oder eben nicht, auf alle Fälle ein Stück Wirklichkeit.

Roman Bezjak, dessen Werke und Fotoreportagen im Rahmen des Frankfurter Allgemeine Magazins oder für GEO mehrfach ausgezeichnet wurden, ist heute Professor für Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld. Seine Fotografien zum Thema „Archäologie einer Zeit – Sozialistische Moderne“ sind bis Mitte Oktober im Sprengel Museum Hannover und Anfang nächstens Jahres in der Robert Morat Galerie in Hamburg zu sehen. Eine 160-seitige begleitende Publikation mit dem Titel „Sozialistische Moderne“ erscheint im Hatje Cantz Verlag.

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