Samstag , 20 April 2024
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Joseph Goebbels im Programmheft der Berliner Philharmoniker

philharmonie_berlinIch schätze die Berliner Philharmoniker sehr. Sie gehören zu den weltbesten Orchestern. Deshalb bin ich regelmäßig bei ihnen zum Konzert. Gestern allerdings kam ich nachdenklich nach Hause. Gestern gab es Richard Strauss. Den ganzen Abend. Das Orchester zeigte, was es musikalisch „drauf“ hat – und glänzte wie gewohnt. Die Freude wurde allerdings getrübt. Unter der Überschrift „Lieder, Lärm und Lustigkeit – Ein Strauss für alle Gelegenheiten“ konnte man im Programmheft, für das Susanne Stähr den Einführungstext geschrieben hat, Seltsames lesen.

Zitat:

„Gelegenheitswerke haben es nicht leicht, sich im aktiven Konzertrepertoire zu behaupten. Es haftet ihnen der Verdacht an, sie seien nicht für die Ewigkeit, sondern für einen bestimmten Moment entstanden: als tönender Geburtstagsgruß und Einweihungsfanfare, als Huldigungs- oder Dankadresse. Vor allem, wenn der Anlass, der bei der Geburt dieser Stücke Pate stand, im Nachherein einen gewissen Beigeschmack aufweist, wird die vorurteilsfreie Rezeption erschwert. So ist es Richard Strauss mit einigen Kompositionen ergangen, die er während der tausend braunen Jahre zwischen 1933 und 1945 geschaffen hat: Man denke nur an seine Olympische Hymne für die Berliner Spiele 1936 und an die Japanische Festmusik zum 2600-jährigen Bestehen des mit Nazi-Deutschland verbündeten japanischen Kaiserreichs. Auch die Festmusik der Stadt Wien muss in diesem Zusammenhang genannt werden. Baldur von Schirach, „Reichsjugendführer“ und seit 1941 Statthalter von Wien, hatte 1942 den Beethovenpreis der Stadt Wien neu ausgelobt und mit 10.000 Reichsmark dotiert – ein Propagandainstrument in schwerer Zeit, dem Ruhm der deutschen Kunst zugedacht. Als erster Preisträger wurde Richard Strauss ausersehen: Er nahm die Würdigung am 16. Dezember im Wiener Rathaus entgegen und revanchierte sich postwendend für die Ehre mit der Komposition der Festmusik für Blechbläser und Pauken, die er am 9. April 1943 zur Feier des fünften Jahrestags von „Großdeutschland“ mit dem Wiener Trompetenchor uraufführte, als Jubiläumsgabe zum Einmarsch der Nazis in Österreich. So weit die Fakten.

Dass Strauss mit diesem Werk ein politisches Bekenntnis verbunden hätte, wäre indes zu weit gegriffen. Viel eher dürften ihn die Besetzung und die Interpreten interessiert haben…“

Ende des Zitats, der Text fährt dann fort mit der genaueren musikalischen Besprechung der Werke des Abends. (Zur Online-Version des Programmheftes bei den Berliner Philharmonikern)

Nun hat Susanne Stähr einem Foto, das Richard Strauss mit Joseph Goebbels zeigt, immerhin eine Viertelseite ihres sehr begrenzten Druckplatzes zur Verfügung gestellt, räumt dem Thema „Strauss und die Nazis“ also erhebliche Bedeutung ein. Zunächst ist es gut, dass Susanne Stähr darauf hinweist, dass Richard Strauss und die Nazis ein durchaus enges Verhältnis hatten: er hat Preise von ihnen angenommen, sie haben seinen Erfolg für ihre Zwecke benutzt. Er hat sich mit Stücken für diese Preise bei ihnen bedankt, sie haben seine Stücke anlässlich von Jahrestagen für ihre Zwecke instrumentalisiert.

Es ist ein schwieriges Kapitel, das Kapitel über „Nazis und die Künstler“. Denn es gab natürlich nicht nur Künstler, die mit den Nazis kollaborierten, sondern es gab auch Künstler, deren Werke man verbrannte, die ausgewiesen wurden, Publikationsverbote hatten und anderes mehr. Der Platz hier ist nicht ausreichend, um das schwierige Verhältnis von Richard Strauss zu den Nazis hinreichend zu beleuchten, er genügt auch nicht, um das umfassendere Kapitel „Die Nazis und die Kunst“ darzustellen. Aber auf den Abend in der Philharmonie will ich dennoch eingehen. Denn, so ist zu fragen, wieso hat Susanne Stähr so formuliert, wie sie formuliert hat? War es Nachlässigkeit? Oder Absicht?

Sie schreibt: „Baldur von Schirach … hatte 1942 den Beethovenpreis … neu ausgelobt … ein Propagandainstrument in schwerer Zeit, dem Ruhm der deutschen Kunst zugedacht.“ Sie schreibt das ohne Anführungszeichen. Was soll das heißen: „….in schwerer Zeit, dem Ruhm der deutschen Kunst zugedacht“? Teilt sie diese Auffassung der Nazis? Teilt sie sie nicht? Wenn nicht, weshalb dann keine Anführungszeichen, um ihren inneren Abstand zur Denkweise der Nazis deutlich zu machen?

Nachdem sie dargestellt hat, dass sich Strauss mit seiner „Festmusik“ für diesen Preis „postwendend bedankt“ hat, schreibt sie: „Dass Strauss mit diesem Werk ein politisches Bekenntnis verbunden hätte, wäre indes zu weit gegriffen.“ Das behauptet sie, ohne den Satz zu begründen. Aber genau die Begründung wäre für das internationale Publikum des Abends durchaus interessant gewesen! Wie kommt sie zu der Vermutung, es handele sich bei jenem Stück nicht um ein politisches Bekenntnis, wo er es doch, ihren eigenen Worten folgend, „postwendend“ als „Dank“ an die Nazis komponiert hat?

Die Sache spielt in den Jahren 1942 und 1943; die Kristallnacht war vorüber, der Krieg kam ins Stocken – allmählich dämmerte etlichen Deutschen, was es mit den Nazis denn wirklich auf sich hatte. Strauss komponierte für die Nazis weiter. Kein „politisches Bekenntnis“? Mich würden die Gründe für diese Behauptung interessieren. Aber genau diese Gründe verschweigt Susanne Stähr.

Wir haben in der Pause mit anderen Konzertbesuchern darüber gesprochen. Auch sie waren schlicht empört. Der Begleittext zum Konzert – extra geschrieben für dieses Programm – kommt dermaßen unkritisch und harmlos daher, daß einem die Haare zu Berge stehen. Statt den wenigen Platz zu nutzen, um ihre These wenigstens in Andeutungen zu begründen, druckt sie den Herrn Goebbels ab, wie er mit dem Richard Strauß verhandelt. Was soll soetwas?

Das ganze steht unter der Überschrift: „Lieder, Lärm und Lustigkeit“ (linke Seite) – direkt gegenüber (rechte Seite) das große Goebbels-Bild. Gibt es eigentlich eine Redaktion bei den Philharmonikern? Ich muss sagen, ich bin ärgerlich über solche Nachlässigkeit! Nun war der ganze Abend Richard Strauss gewidmet – auch das eine Ausnahme in den Konzerten, die sonst Werke verschiedener Künstler zur Aufführung bringen. Wenn aber der ganze Abend nur einem Komponisten gewidmet ist – der wiederum ein, sagen wir es vorsichtig, „schwieriges Verhältnis“ zu den Nazis pflegte – dann muss man zu diesem Verhältnis eben mehr sagen, als das, was da zu lesen ist!

Ich habe mir für einen Moment vorgestellt, wie ein Besucher, sagen wir aus Polen oder Israel, dieses Programmheft in die Hand nimmt. Er schlägt es auf, sieht den Goebbels da hocken, wie er mit dem Strauss konferiert und findet die „Erklärung“ des Abends auf der gegenüberliegenden Seite: „Lieder, Lärm und Lustigkeit. Ein Strauss für alle Gelegenheiten.“

Ich finde, soetwas geht nicht, liebe Freunde von der Philharmonie! Ich wünsche mir ein wenig mehr Sorgfalt!

Dieser Beitrag ist im Original auf dem Blog von Ulrich Kasparick erschienen.

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