Donnerstag , 28 März 2024
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Die Sehnsucht nach dem Sommer-Pavillon

schreibers_huetteDer Schnee in unserem Garten befindet sich auf dem Rückzug. Auf der einen Seite ist es schön, auf der anderen Seite verdeckte er zu meiner vollsten Zufriedenheit den Teil unseres Grundstückes, welcher ursprünglich einmal ein Garten war. Und dieses mit Grassoden abgedeckte Etwas, in welchem wir hausen, früher stand dort ein Haus. Um diese Jahreszeit ist eine offene Feuerstelle nicht immer ausreichend. Das Rauchverbot erscheint wegen des offenen Feuers auch etwas überzogen, man darf ruhig behaupten – es ist lächerlich. Bevor sie die Neugierde zerreißt, dies ist die Geschichte des Dramas unseres Lebens:

Eigentlich haben wir einen sehr schönen Garten. Unser Garten hat die durchschnittliche Größe einer mittelamerikanischen Durchschnittshazienda, das heißt im Klartext, er ist 6,23 Meter breit und 14,51 Meter tief, eben sehr groß. Bis letzte Woche habe ich diesen Garten geliebt. Er war ein von mir geschätztes und von meiner Frau gepflegtes Kleinod, dessen Gesamtbild durchaus den Titel der allseits bekannten und geschätzten Fachzeitschrift „Der ausgezeichnete und progressive Garten in Kapellen–Drusweiler“ hätte schmücken können, hätte können, wirklich.

Ein Garten ist ja eine sich dauernd verändernde organische Einheit, die den Lauf der Jahreszeiten reflektiert, und unsere innere Uhr mit der Uhr der Natur wieder in Einklang bringt. Unser Garten war mehr. Meine Frau hat eine ausgesprochene Vorliebe für Sitzgelegenheiten aller Art, Stühle und Bänke scheinen in unserem Haus und in unserem Garten Mangelware zu sein, müssten sonst laufend neue angeschafft werden? Also, um es auf den Punkt zu bringen, ich war Teilhaber einer Komposition von Pflanzen unterschiedlichster Ausprägung und von vielen Sitzgelegenheiten gleicher Gattung. Mit der Zeit hatte auch ich Gefallen gefunden, an dieser Art, unser Grundstück in einen Flanier– und Ruhepark zu verwandeln. Entsprechende Sitzecken, meist im schattigen Bereich fanden meinen Gefallen und ich dort meine Ruhe.

Wie meist, so begann auch dieser weitere Höhepunkt meines davon so reichlichen Lebens, an einem Sommerabend auf der Terrasse. Beschaulich genoss ich den Blick auf ein kleines Rondell aus Pflastersteinen, geadelt durch eine kleine Steinbank, einen Bistrotisch sowie einen Korbsessel. An der daneben montierten Wäschespinne flatterten lustig meine Socken und große Stoffbahnen, die sich erst nach näherem Hinsehen als meine Unterhosen zu erkennen gaben.

„Was hältst du eigentlich von einem Pavillon? Schau dir mal diesen Katalog an, ist dies nicht ein ausgesprochen charmantes Modell? Wusstest du übrigens, dass Pavillons zum Essen und Trinken als kleines intimes Gartenhäuschen gebaut und genutzt wurden? Viele Schriftsteller haben in einem Pavillon große Werke zu Papier gebracht. Die Tinte floss im Gleichklang mit der Natur aus der Feder, die Inspiration kam mit jedem kleinen Lufthauch.“ Ich wurde hellhörig. Auf der einen Seite versuchte ich verzweifelt, mir eine halbwegs realistische Kalkulation eines Essen– und Trinken–Pavillons vorzustellen, auf der anderen Seite war ein Mehr an Kreativität durch die Aura eines Schriftsteller–Gartenhäuschens äußerst interessant, ausgesprochen interessant, um ehrlich zu sein. Leider vergaß ich, den Bedarf an handwerklichen Fertigkeiten sowie den Zeitaufwand abzuschätzen. Auch an die Kosten für Krane und Planierraupen dachte ich nicht im Geringsten. Dies war ein Fehler, ein sehr großer Fehler.

Der geneigten Leserin und dem geneigten Leser sind die Maße unseres Gartens geläufig, ich möchte sie trotzdem nochmals nennen, er ist 6,23 Meter breit und 14,51 Meter tief. Unter Beachtung aller Regeln für Proportionen dürfte also der Pavillon einen Durchmesser von maximal 1,95 Meter haben, genug Platz also, um darin einen kleinen Tisch unterzubringen, an dem ein Schriftsteller arbeiten kann. Essen und Trinken wäre ohne jeden Zweifel ebenfalls darin möglich, für mindestens eine und maximal zwei Personen. So dachte ich und so naiv war ich.

Am nächsten Abend erfuhr ich die Wahrheit. Meine Frau begrüßte mich mit einem Kuss, was mich sofort misstrauisch machte. Sie bat mich auf die Terrasse, der Tisch war sehr ansprechend gedeckt, sie reichte mir ein Glas Rotwein, wobei sie die Flasche dezent neben mich platzierte. Auch dies war ein äußerst verdachterregender Umstand, ich konnte mich nicht daran erinnern, wann dies das letzte Mal passiert war.

„Unser Traum geht in Erfüllung, wir bekommen unseren Pavillon. Heute habe ich ihn bestellt, er wird nächste Woche angeliefert, wir müssen ihn nur zusammenstecken und fertig. Die Dame am Telefon war äußerst freundlich und hat mir einen Rabatt von 64 % gegeben. Unser Pavillon kostet jetzt nur noch € 23.198,45, ein wirklich tolles Angebot, und er ist von Hand gemacht, nichts aus der Fabrik.“

Ich fühlte mich richtig schlecht, zunächst die vielen Stellen vor dem Komma, dann der Gedanke, dieses absolut unnötige Teil auch noch aufbauen zu müssen. Meine Frau verschwand in der Küche, um eine zweite Flasche Rotwein zu holen. „Ich habe übrigens eine etwas größere Ausführung bestellt, da haben wir reichlich Platz, der Pavillon hat einen Durchmesser von drei Metern, und stell dir vor, er ist vier Meter hoch.“ Mir schauderte, meine Frage, ob wir noch Rotwein hätten, wurde prompt beantwortet, sie servierte die dritte Flasche.

Mitte nächster Woche wurde das Teil geliefert. Ich erfuhr dies durch den Anruf unseres Bürgermeisters. Zur Erklärung möchte ich die Situation in unserer idyllischen Gartenstraße schildern. Unser Haus liegt fast am Scheitelpunkt einer kleinen Kurve, auf der anderen Straßenseite ist eine parkähnliche kleine Anlage, in deren Mitte sich ein kleiner Teich, ein Becken nebst Brunnen befindet. Die Straße ist etwas abschüssig.

Der Bürgermeister fragte mich allen Ernstes, ob ich einen an der Waffel hätte, einen LKW samt Sattelschlepper mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 45 Tonnen in unsere Straße zu lassen, der aufgrund nicht vorhandener Ortskenntnisse des Fahrers mittlerweile mit dem Führerhaus auf dem Brunnen aufsaß, dessen Ladebrücke drei hochgewachsene Bäume samt drei Bänken aus Edelstahl unter sich begraben hatte. Die Häuser in der Nachbarschaft seien nicht sehr stark beschädigt, aber das ganze wäre sehr unangenehm, alle Rechnungen gingen an mich.

Das technische Hilfswerk war äußerst hilfsbereit, mehrere schwere Einheiten mit Lawinensuchhunden sicherten das Gelände ab, einem Bergepanzer der Bundeswehr gelang es, den LKW zurück auf die Straße zu setzen. Nur der Ordnung halber erwähne ich, dass wir die Teile auf kleinere Fahrzeuge umladen mussten, die dann auf der Rückseite direkt vor unserem Garten wieder abluden.

Es gab auch positive Aspekte dieses Vorgangs, 34 Menschen hörten auf mein Kommando, mein Organisationstalent half mir dabei, auch die Unterbringung und Verpflegung der Bautruppe wurde auf das Beste geregelt. Die Kosten waren unterhalb des erwarteten geblieben, es waren lediglich € 16.542,13.

Auch an diesem Abend gab es Rotwein satt. Eigentlich wollte ich gar nicht so viel trinken, aber die Fürsorge und die Hilfsbereitschaft meiner Frau durfte nicht bestraft werden.
„Bevor wir aufbauen, lasse uns erst einen Tag pausieren, wir haben keine Eile damit.“ Sie lächelte mich an. Am nächsten Tag erhielt ich einen Anruf von meiner Frau, es war gegen 9.16 Uhr. Sie hätte schon mit der Montage begonnen, ohne meine Hilfe ginge es nicht recht voran, und vor allem, so oft bekämen wir schließlich keinen Pavillon, und ich sollte jetzt endlich kommen, und zwar schnellstens.

So kann man mit mir nicht umgehen, ich wies darauf hin, dass ich um 9.30 Uhr einen wichtigen Kunden zu Besuch hätte, und dass dies auch von ihr respektiert werden müsste, und um genau 9.18 Uhr würde ich mich ins Auto setzen, keine Minute früher, und damit basta. Genauso tat ich es dann. Gegen 9.34 Uhr war ich zu Hause. Im Garten herrschte ein unbeschreibliches Durcheinander von Gittern und Stahlstreben, von Bolzen und Muttern, von Werkzeug und von was weiß ich noch alles. Ein klein wenig Hysterie lag in der Luft. Es knisterte und donnerte, der Anschiss, warum zum Teufel ich so lange gebraucht habe, er lies nicht auf sich warten. Als geduldiger und ruhiger, toleranter und in sich ruhender Mensch hatte ich damit aber keine Probleme. Ich dachte nur dabei, sie solle mir den Buckel hinunter rutschen, ehrlich, sonst nichts mehr.

Als Kind war ich begeisterter Modellbahner und ein ausgesprochener Spezialist für Faller–Bausätze, der Pavillon konnte kein Problem sein. Zunächst sortierte ich alle Teile nach Aussehen und Größe, dann beschäftigte ich mich mit der Bedienungsanleitung. Gestählt durch 20 Jahre Erfahrung mit Anleitungen von IKEA konnte es kein Problem geben. Wie vorhin schon erwähnt, handelte es sich bei dem Pavillon um eine handwerklich gefertigte Ausführung, nicht um ein Fabrikmodell. Unser gutes Stück war im Jemen hergestellt worden. Zumindest behauptete der Schriftsachverständige des Landesmuseums in Mainz, dass ihn die Schrift auf Grund der ausgeprägten Auf– und Abstriche stark an die frühjemenitische Keilschrift erinnere, aber mit einer Übersetzung könne er leider nicht helfen, und er kenne auch niemand, und es täte ihm leid. Und mir erst. Auch in Kapellen–Drusweiler gab es niemanden, der mir bei der Identifizierung, respektive Übersetzung helfen konnte. Nun gut, dann eben ohne.

Zurück im Garten begann die Arbeit. Meine Frage nach einem Glas Rotwein wurde überhört, der Zugang zum Keller war verschlossen. Nun gut, dann eben ohne. Als erstes markierte ich am vorgesehen Platz das Außenmaß unserer Ferienwohnung, nebst den Markierungen für das Tragegestänge. Als Fixpunkte wählte ich die betonierte Röhre der Wäschespinne und einen Maulwurfshügel. Dann verschraubte ich den Rest der Tragestangen. Ein leichter Wind kam auf, das an ein vorchristliches Zeltgestänge jemenitischer Nomaden erinnernde Etwas begann zu knarren und dann zu schwanken. Auch meine Frau begann zu knarren, oder war es mehr knurren? Ich beruhigte Sie, in dem ich eine kurze Einführung in Baustatik gab. Durch das Anbringen der Seitengitter bekam das Hirtenzelt etwas mehr Halt, begann sich aber deutlich zur Seite zu neigen. Es wäre kein Problem, das Fundament müsste etwas verstärkt werden, alles wäre leicht zu regeln. Ihr Blick war grauenhaft. Wären ihre wunderschönen grünen Augen eine Zwillingsflak, ich wäre in eine fürchterliche Salve gestolpert.

Mein Freund Bertram ist Inhaber einer florierenden, bekannten Betonmischanlage und stolzer Besitzer von dazu gehörenden Mischfahrzeugen. Fünf Kubikmeter von der feinsten Sorte Beton, zu liefern in spätestens zwei Stunden, es klappte wie am Schnürchen. Eine unwesentliche Kleinigkeit war mir nicht aufgefallen, ich hatte keine Löcher gegraben, die man ausgießen konnte. Als der Betonmischer an der Baustelle ankam, war ich gerade damit beschäftigt, die Tür zum Keller aufzubrechen. Mir war eingefallen, die Bestände an Rotwein zu überprüfen, damit wir heute Abend tatsächlich im Pavillon auch trinken könnten, eine wahrlich wichtige Aufgabe, die nicht delegiert werden konnte.

Der Fahrer tat etwas, und er tat das falsche, obwohl er glaubte, er täte das richtige. Die vielen Löcher im Garten brachten ihn auf den Gedanken, dass es sich um die Ausschachtung für eine Bodenplatte handele. Und so tat er, was zu tun war. Der Beton floss in den Garten. Leider hatte niemand dem Beton mitgeteilt, dass er überhaupt nicht fließen dürfe, und wenn er es trotzdem tun würde, maximal 6,23 Meter breit und maximal 14,51 Meter tief. Langsam verteilten sich mehrere Tonnen Beton auf die Gartenflächen der gesamten Straße. Mein Nachbar ist leitender Angestellter bei einer der führenden Rechtsschutzversicherungen, was dem ganzen Vorgang eine, meiner Meinung nach, unnötige Schärfe gab. Ein hiesiger Bauunternehmer reparierte in drei Wochen die ganze Angelegenheit, indem er den Beton weg sprengte. Ein Gärtner aus dem Nachbarort war dankbar für den größten Auftrag, den er jemals erhalten hatte, nämlich die komplette Neubegrünung von mehreren Straßenzügen.

Beim Wegsprengen des Betons passierte ein kleiner Lapsus. Die Sprengladung für die Betonwanne vor unserer Terrasse war etwas großzügig dimensioniert. Als sich der Staub gelegt hatte, sah ich direkt in meinen Keller. Ohne Probleme war eine Inventur meiner Bestände an Rotwein möglich. Leider war der Rest des Hauses nicht mehr da. Meine Frau wollte sich nicht mehr beruhigen. Es schmerzte ungemein, unentwegt trafen ihre Schläge mit einem Betonkeil meine linke Kniescheibe, mein Gesicht konnte ich schützen, Gott sei Dank. Zwei Tage später sprach sie wieder mit mir.

Das Tragegestänge des Pavillons war durch den Beton unzerstörbar geworden. Die Außenwände verkleidete ich mit Decken, die uns freundliche Nachbarn spendeten, darüber zog ich zwei Plastikplanen. Als Inneneinrichtung dienen uns eine Steinbank, ein Bistrotisch sowie ein Korbsessel. Wir haben einen Raumdurchmesser von drei Metern, so bleibt genug Platz, abends die vom Roten Kreuz gespendeten Klappbetten aufzustellen. Es fehlt uns eigentlich an nichts. Von der Versicherungssumme für das zerbombte Haus haben wir zunächst alle Kosten bezahlt, für die man mich haftbar machte. Vom Rest erwarb ich zwei Kisten Rotwein und eine Kiste Wasser.

In einem Pavillon kann man essen und trinken, genau dies tun wir jetzt. Und wenn nach Einbruch der Dunkelheit das Kerzlein lustig flackert, verschönt das Studium der Kataloge unsere Abende. Wir sind glücklich und zufrieden, und am liebsten begucken wir Fertighausprospekte und die Zeitschrift „Schöner Wohnen“. Wenn wir fleißig sparen, reicht es bald wieder für ein kleines Häuschen, einen Garten, und natürlich für einen Pavillon.

© Peter Reuter

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