Freitag , 29 März 2024
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Achtung Satire: Der Sommertanz der deutschen Bahn

recycling_farbenNicht jedes Wort muss ein gesprochenes sein. Trotzdem sind diese stillen Worte mit einer Ausdrucksform versehen, welche uns vor dem Verstehen erst einmal ungläubiges Staunen verheißt. Von einer solchen Situation und ihren Umständen möchte ich heute erzählen. Es geht um den Beitrag der Deutschen Bahn für die Volksgesundheit und die Kultur, explizit dem klassischen und modernen Ballett. Besonders möchte ich mich den älteren Damen und Herren widmen, also der Altersklasse ab 29.                     

Der Bund, also der deutsche Staat, ist Eigentümer der Bahn, auch wenn es offiziell heißt, sie – die Bahn – wäre privatisiert. Da lachen ja die Hühner. In Punkto Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Bequemlichkeit befinden wir uns im Nahverkehr nach wie vor im Status einer der früheren Eiszeiten, mit Tendenz zur Steinzeit. Einzelheiten erspare ich ihnen, einfach mal selbst fahren. Glauben Sie mir, es ist eben so, wie man sich die Arbeit einer Bundesbehörde vorstellt. Eine Ausnahme gibt es, welche nicht zu kritisieren ist, nämlich das vorhin angesprochene körperliche und sittliche Ertüchtigungsprogramm. Dies findet, wieder typisch für die deutsche Bahn, einem Transportunternehmen, beim Warten oder beim Rennen, eventuell beim Stehen, auf keinen Fall während der Fahrt statt.

Begeben wir uns auf meinen Lieblingsbahnhof, dem Hauptbahnhof Karlsruhe. Zu spätes Ankommen erhöht in der Regel schlagartig die Antrittsgeschwindigkeit der Hälfte der Reisenden. Die Spurtdisziplin wird in verschiedenen Klassen durchgeführt. Es beginnt bei der Gruppe der Einzelreisenden ohne Gepäck jüngeren bis mittleren Alters, eine weitere Medaille wird in der Gruppe der Mittelalten mit Aktenkoffer vergeben. Als besondere Erschwernis notieren wir in diesem Fall eine defekte Rolltreppe. Die Hauptattraktionen folgen in den nächsten Klassen, zunächst die Mütter mit Kinderwagen und einem weiteren Kind mit Laufrad. Zum Schluss der ultimative Höhepunkt der Veranstaltung, die Senioren. Der Vorlauf sieht lauter drahtige Hüftprothesenträger, alle älter als 75. Im großen Finale sind ausschließlich Senioren-Paare zugelassen, welche über mindestens 4 Gepäckstücke verfügen, deren Gesamtgewicht um mindestens 30 % höher liegen muss, als unser Pärchen wiegt.

Welch eine Freude, diese Anmut, diese Bewegungslust, dieser Siegeswille, diese Bereitschaft, Schmerzen zu ertragen und nie aufzugeben. Die Laufbahn wird gesäumt von diversen Transparenten zahlreicher Privatkliniken, einigen Schuhgeschäften, einem Saftladen und einer Dönerbude. Im Vertrauen, nur für uns beide – die meisten erreichen das Ziel nicht rechtzeitig. Wegen dieses Umstandes schließt sich an den Spurt eine Regenerationsphase von 60 Minuten an, und um diese geht es heute.

Sie sind doch selbst Sportler und können aus dem Stegreif die Frage beantworten, was auf den Spurt zu folgen hat. Ist doch klar, Ruhe, nichts als Ruhe. Aufgelockert wird diese Phase lediglich durch die Nahrungs- und Getränkeaufnahme. Beobachten wir diesen Vorgang nun bei der Finalgruppe der Seniorenpaare, von denen es täglich jeweils eine ganze Menge gibt – weil, Senioren reisen immer.

Die Pause wird hurtig genutzt, sie wissen schon, für Essen und für Trinken, Kioske, Läden und Automaten erfüllen jeden Wunsch. Lassen sie uns die unmittelbare Phase der Aufnahme überspringen, alles ist zur vollsten Zufriedenheit erledigt. Zeit ist noch genug, für den Besuch einer Toilette zum Beispiel. Nein, es geht nicht um schwache Blasen, die Hände sollten jetzt gewaschen werden. Und auf dem Weg zur Abteilung für hygienische Entspannung nimmt Mann oder Frau selbstredend den Abfall mit. Damit nimmt das Drama seinen Lauf, beziehungsweise, es, beginnt jetzt. Es gilt, auf diesem Weg den Müll zu entsorgen. Kein Problem, auf dem Bahnhof wird der Müll entsorgt. Erstens gibt es genug Mülleimer. Zweitens überwacht der Sicherheitsdienst der Bahn, das sind die Männer und Frauen in dunkelblauen Uniformen, flugs der Kleiderkammer der Bahnhofsmission entnommen, geadelt durch ein Barett, alternativ der Schirmmütze eines Generals der sowjetischen Kammerjäger, die konsequente und fristgemäße Einhaltung der Abfallentsorgungsvorschriften der Bundeswehr, der Heilsarmee, der Vereinten Nationen und der freien Republik Zimbabwe.

Beobachten wir jetzt nicht die Kammerjäger, sondern unsere ruhenden Spitzensportler. Anfangs sind die Sportler guten und ökologischen Gewissens – so lange, bis die Blase anfängt, unverhältnismäßig stark und pausenlos auf ihre Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Auf dem Weg zum Nirwana der körperlichen Entspannung streift unsere Sportlerin, nennen wir sie Irmtraud Koschinewski, auch einen der zahlreichen Abfallbehälter, welche sich im Bahnhof ihre Existenz verdienen. Der Behälter ist viergeteilt und vierfarbig. Gelb steht für Papier, Rot für Restmüll. Blau ist für Glas und Grün für Verpackung – oder so ähnlich. Irmtraud fiel noch nie wegen anarchistischer Umtriebe auf, sie bezahlt ihre Steuern, glaubt noch Politikern und tut alles, was man ihr vorschreibt. Gleiches gilt für Anton Koschinewski, ihrem Mann, welcher im Hauptberuf Briefträger war. Irmtraud, wir nennen sie ab jetzt Irmi, will flugs und umgehend zwei leere Einwegflaschen und die leere Apfeltaschenverpackung sowie das Behältnis eines „Coffee to go“ entsorgen. Lieber hätte sie die Verpackung eines „Tea to go“ entsorgt, Tee war aber gerade alle.

Zunächst drehte sie eine Runde um die Abfallentsorgungsstation und las die entsprechenden Hinweise. Die erste Frage war nun, ob die Mineralwasserflaschen Verpackung oder Restmüll waren. Sie begann zunächst mit dem Abkratzen der Papierbanderole, hier dürfte die Entsorgung kein Problem sein. Nun entschloss sich Irmi für eine zweite Runde um den Behälter, den für Müll natürlich. Sie entschied nach weiteren drei Runden, dass es sich bei dem banderolenlosen Plastikkörper nunmehr um Restmüll handle und warf ihn in den roten Korb.

Der Kammerjäger hatte den Vorfall aus seinem Versteck beobachtet und griff ein. Mit einem durchdringenden Pfeifen auf seiner Trillerpfeife machte er auf sich und den Umweltfrevel aufmerksam. Anton hörte das Geträller ebenfalls und wollte der für einige Sekunden in Ohnmacht gefallenen Irmi zu Hilfe eilen. Trotz zweier künstlicher Hüftgelenke grätschte er über den Mülleimer, Irmi lag dahinter. Die Ferse seines linken Schuhs fegte die Generalsmütze vom Kopf des Kammerjägers, dieser kniete vor Irmi und las von einem Merkblatt den amtlichen Ermahnungstext für Müllsünder.

Anton brüllte laut auf, er dachte, dass der General Irmi küssen wolle. Der General glaubte an einen terroristischen Überfall und griff zum Pfefferspray, obwohl der rechte Fuß von Anton auf der Dose stand. Irmi ihrerseits glaubte nun an einen Überfall auf Anton. Sie war vor 64 Jahren als Flüchtling ins Reich gekommen, ihr musste man nicht sagen, wie die Mütze eines russischen Oberkammerjägers aussah. Also biss sie zu, erst in seine rechte Kniescheibe, dann in das rechte Ohr, welches deutlich besser schmeckte. Der Oberförster verlor zuerst die Mütze und dann die Nerven. Die Mütze wegen eines Tritts von Anton, welcher trotz stechender Schmerzen im, vor drei Jahren reparierten, linken Hüftgelenk den Kampf wieder aufnahm, die Nerven, weil Irmi die Verpackung der Apfeltasche einfach auf das Gleis warf. Ein vorbeikommender Fahrkartenkontrolleur griff in das Scharmützel ein, ebenfalls der Dackel eines Gastwirts aus Mittenwald, welcher den planmäßigen Anschluss nach Clausthal-Zellerfeld verpasst hatte, seine Schwägerin lebte dort.

Einige, zufällig auf dem Bahnhof gestrandete Touristen aus Australien hielten das ganze für eine folkloristische Vorführung und wollten partout mitmachen und tanzen. Der General konnte nicht tanzen, durfte auch nicht, er war schließlich im Dienst. Irmi wollte zu Anton, der vor ihr stehende Australier war relativ schnell down under, weil ihm Irmi einen Haken versetzte und im Fach für Restmüll deponierte. Koschinewskis steppten dann Rücken an Rücken den Bahnsteig entlang, erledigten unterwegs einen weiteren General und eine Einsatzgruppe der Bundespolizei, welche total überrascht war, hatte sie doch Fußballanhänger aus Rostock erwartet. Mit wilden Sprüngen überquerten beide mehrere Gleise, erledigten einen Prellbock und einen Wartesaal und verschwanden unter Zurücklassung des Gepäcks in einer Unterführung. Anton soll leicht gehumpelt haben, Irmi war fast nackt.

Zwei Generäle retteten sich in das Gebäude der Bahnhofsmission, obwohl die Tür von Ihnen durch die Einsatzabteilung der Bundespolizei gesichert war. Der Dackel hat den falschen Zug erwischt, man hat ihn in Rom gesehen. Den Gastwirt hat man nie mehr in der Bahn oder auf Bahnhöfen gesehen.

In den Nachrichten wurde der Vorfall als Performance verkauft, einen Kommentar vom Kulturbeauftragten der Bahn dazu gab es ebenfalls. Alle haben es geglaubt. Man versprach, Bahnhöfe des öfteren in den Dienst der Kultur zu stellen. Ich glaube der Bahn. Gestern habe ich wieder sehen können, wie ein mindestens 70 Jahre alter Ausdauersportler seine 12. Runde um den Papierkorb drehte. Er hielt Flaschen, Dosen, Papier und einen offensichtlich angebissenen Hamburger in der Hand. Mal sehen, wie der alte Knabe tanzen kann. Komisch, die Generäle wollen heute nicht mitmachen. Alle, wirklich alle, spurten wie Teufel in Richtung Bahnhofsmission. Was die dort wohl alle wollen?

Der Volkserziehung und Pina Bausch gewidmet.

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